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Uta WreeUta Wree ist promovierte Tierärztin und als ich mit ihr telefoniere, um mir ihre Geschichte anzuhören, zittere ich zwischendurch vor Anspannung. Meine Kiefermuskeln verspannen sich derart, dass ich zeitweilig Sorge habe, sie könnte gar nicht mehr verstehen, was ich ihr antworte. Was ihr widerfahren ist, machte in den letzten Wochen auf Facebook die Runde.

Schon viele Jahre hat sie Schafe – eine besondere Rasse, die es kaum in Deutschland gab, als sie sie zu sich holte: Norwegische Landschafe, Norsk Spaelsau. Es sind kräftige Schafe und super mit ihren Lämmern, sagt sie mir. Mit etwas mehr als zwanzig Schafen hat sie einst angefangen. Inzwischen hat sie einige hundert, „und trotzdem“, erzählt sie mir: „kenne ich meine Schafe. Ich weiss, wer wessen Mutter ist und auch wer die Grossmutter ist. Ich habe den Lämmern auf die Welt geholfen, habe gefüttert und gepflegt.“ Später betont sie das nochmals – es ist ihr wichtig, damit ich verstehe, dass ihr ihre Schafe nicht egal sind. Ich hätte mir das sowieso nicht vorstellen können.

Zwischendurch war sie schon einmal kurz davor, die Schäferei aufzugeben. Es gab Zeiten, da wurde kein Weideland mehr zur Verfügung gestellt und sie konnte ihre Schafe nicht mehr ernähren. Aber dann kam die Strandbeweidung auf und so entstand für Schäfer eine Art ökologischer Nische. Seit fünf Jahren, sagt sie mir, wäre es endlich gut. Heute beweiden sie Deiche, Deponien, Solarparks und eben den Strand, wo ihre Schafe diejenigen sind, die sich um die aus Sibirien eingeschleppte Kartoffelrose, Rosa rogusa, kümmern, die sonst – ohne natürliche Feinde an der Ostsee – die Strände überwuchern würde. Schafe sind Strandschützer und das touristische Aushängeschild Schleswig-Holsteins.

Und dann kommen wir auf das Thema ‚Hunde‘. Sie arbeitet mit Border Collies – drei von ihnen arbeiten im Moment an der Herde, Rio, Mac und Jock. Sie ist stolz darauf, dass ihre Hunde freundliche Gesellen sind. „Wissen Sie, Schäfer gelten immer als so griesgrämig und stinkig gegenüber Hundehaltern, weil sie so oft so viel Ärger mit ihnen haben – und ihre Hunde sind meistens auch irgendwie so. Ich finde es toll, dass meine nett sind. Ich muss keine Sorge haben, dass sie mal den kleinen Kläffer eines Touristen angreifen – wenn überhaupt ist es anders herum.“

NorwegerschafDass sie ihre Hunde mag, erklärt vielleicht auch ein wenig, warum sie dem Hund, der für das Desaster, das sich Mitte April 2014 ereignete, keine Vorwürfe macht. „Der Hund hat doch irgendwie natürlich gehandelt. Mein Nachbar hat mir erzählt, dass es auf die Entfernung fast witzig aussah, wie er zu den Lämmern rannte, sie in die Luft warf und zum nächsten lief.“ Innerlich verspanne ich mich und halte die Luft an. 59 Lämmer und drei Muttertiere starben, als ein Hund, der sogar noch eine Schleppleine hinter sich herzog, in die Schafherde preschte und dort 35 Minuten wütete. Sein Halter war weitergefahren – er hatte angenommen, dass sein Hund ihm schon irgendwann folgen würde. Hätte Utas Nachbar ihn nicht zurückgeholt, keiner weiss, wie lange der Hund noch weitergemacht hätte. Tatsächlich melden sich Halter, deren Hunde auch nur ein Schaf gerissen haben, gewöhnlich nicht – der Schäfer bleibt auf dem Schaden sitzen.

1959298_10203233429094864_1791195007820842473_nNicht alle Lämmer starben direkt durch einen Hundebiss – die Schafherde geriet so in Panik, dass die frischgeborenen Lämmer den vielen Hufen und dem Gewicht der Alttiere nichts entgegen zu setzen hatten. Die Tiere überrannten Lämmer, rannten durch die Elektrozäune, die Uta aufstellen muss, weil das Gelände, auf dem sie ihre Schafe weiden lassen darf, nicht eingezäunt ist. Sie verfingen sich in den Zäunen. Uta erzählt mir von einem Lamm, dem der Brustkorb aufgerissen ist, so dass sie sein Herz schlagen sehen kann. „Es hatte Schaum vor dem Maul, aber es konnte einfach nicht gehen – es konnte nicht sterben.“ erzählt sie und ich merke immer mehr, wie sehr sie dieser Vorfall mitgenommen hat, auch wenn man es ihr kaum anhört. Als promovierte Tierärztin schläferte Uta Wree dieses und einige andere Lämmer und Schafe ein – alles andere wäre unmenschlich gewesen. Einem hochträchtigen Schaf gipste sie das gebrochene Bein, in der Hoffnung, das es sich erholen wird. Dennoch konnte Uta so viele tote Lämmer nicht auf der Weide liegen lassen. Lamm um Lamm brachte sie auf die Ladefläche ihres Pickup, aber es waren so viele, dass sie sie zusammenschieben musste. „Das kann ich nicht vergessen.“ Meine Hände sind kalt und starr, während ich mir versuche vorzustellen, wie es sein muss, so viele tote Tiere abzutransportieren.

21021_10200802767689848_1077701796_nNormalerweise, wenn ein Lamm mal stirbt, lässt man es noch eine Weile bei seiner Mutter, erklärt sie. Sonst verstehen die Mutterschafe nicht, was passiert ist und rufen ihr Lamm. In der Nacht nach dem Vorfall gerät ihre Herde erneut in Panik – sie sind traumatisiert und reagieren hysterisch. Sie rennen wieder den Elektrozaun um, der sie zusammenhalten soll und brechen in ein Waldstück aus, um sich dort zu verstecken. So hört Uta in der Nacht, wie die Mutterschafe aus dem Wald heraus ihre Lämmer rufen. „Man hört das, wissen Sie? ICH höre das… es ist ein ganz spezieller Laut, dieser Ruf.“ Ich weiss es schon vor unserem Telefonat aus den Emails, die wir in den letzten Tagen ausgetauscht haben, und jetzt erzählt sie mir, warum der Albtraum damit für sie dennoch nicht beendet war. Ihre Schafe gebären alle innerhalb von etwa drei Wochen, der Lammzeit. Genau in diese Zeit fiel nun dieses Drama – was viele nicht wissen: Schafe leiden lautlos und unauffällig, was typisch für Beutetiere ist. Erleben hochträchtige Schafe extremen Stress, kommt es zur Verlammung – einem Schwangerschaftsabbruch durch Frühgeburt. Schon ein Hetzen durch einen Hund auch ohne Verletzung als Folge führt oft dazu, dass nach zwei bis drei Tagen verlammt wird und das Lamm verendet. „Das wissen die wenigsten Hundehalter – man sieht ja erst mal nicht, dass man Schaden angerichtet hat.“ erläutert Uta und versteht das sogar. Sie weiss, dass die wenigsten über Schafe Bescheid wissen – was viele ihrer Kollegen wütend macht. „Ginge es um eine Katze oder einen Hund oder ein anderes tierisches ‚Familienmitglied‘, würde es mehr Leute interessieren. Aber Schafe? Nein.“

Uta Wree hat einen beträchtlichen Teil der Lämmer verloren – und dabei wäre das Frühjahr und die ganze Saison so ideal für die Aufzucht der Lämmer gewesen, sinniert sie. Nach den 59 Lämmern, die während des Vorfalls sterben, sterben unzählige in den Tagen danach durch Verlammung oder werden von ihrer verstörten und immer noch panischen Herde zertrampelt… und die Hysterie führt erneut zu Frühgeburten.

1902950_10203278843270190_4541198165371816354_nWie es weitergeht? Ich habe das Gefühl, dass auch Uta das noch nicht so richtig weiss und sich auch nicht so richtig vorstellen kann. In einigen Wochen beginnt die Strandbeweidungssaison – dort wo alle Touristen auch mit ihren Hunden unterwegs sind. Ratloses Schweigen klingt laut durch die Leitung, dann murmelt sie: „Wie soll das gehen? Meine Schafe geraten in komplette Panik, selbst wenn sie nur fremde Menschen sehen – von Hunden ganz zu schweigen! Sogar vor meinen Hunden haben sie Angst… Ich weiss nicht, wie das funktionieren soll… “ Während ich nur erahnen kann, was das im Notfall bedeutet, holt sie Luft und berichtet mir von ihren Plänen. Sie hat ihre Herde jetzt auf einem fest umzäunten Militärgelände untergebracht, wo sie weder durch Spaziergänge noch durch Hunde gestört werden. Als Nächstes wird sie nach Menschen suchen, die sich bereit erklären, mit ihren Schafen zu üben. Mal einfach anwesend sein, mal ein Stück Brot füttern. Klein anfangen, damit die Tiere wieder etwas Vertrauen gewinnen. Ich bewundere sie für diese Tatkraft, dafür, dass sie nicht wütend ist, dafür, dass sie weitermacht und nicht aufgibt.

„Ich wünsche mir, dass diese Geschichte wenigstens etwas Gutes hat: Dass mehr Hundehalter sensibilisiert werden. Deswegen habe ich die vielen schrecklichen Fotos auf Facebook gepostet. Hundehalter müssen wissen, dass sie ihre Hunde an der kurzen Leine an Schafherden vorbeiführen. Sie sollten verstehen, was für eine fürchterliche Kettenreaktion so ein Vorfall auslösen kann. Gäbe es mehr Respekt, könnten wir auch alle friedlicher miteinander umgehen.“

 

Ich leite diese Bitte weiter und wünsche mir, dass jeder Hundehalter einen weiteren darüber informiert:

  • Leinen Sie Ihren Hund an, wenn Sie sich einer Schafherde nähern.
  • Aufscheuchen, hetzen und auch „hüten“ durch fremde Hunde kann extremen Stress für Schafe bedeuten.
  • Bitten Sie auch andere Hundehalter, ihre Hunde anzuleinen. Freundlich, aber bestimmt – Sie wissen jetzt, warum. 
  • Sollte Ihr Hund dennoch Schafe jagen: Greifen Sie ein! Er wird nicht aufhören, er befindet sich auf der Jagd und die ist selbstbelohnend. 
  • Verständigen Sie den Schäfer – die Haftpflichtversicherung Ihres Hundes kommt für den Schaden auf. Zumindest den finanziellen.